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#lostplaces : Abenteurer erinnern sich

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Schritt. Schritt. Schritt. Die Glasscherben unter unseren Füßen knirschen und die verrottenden Wände geben den Hall des Geräuschs viel zu laut zurück, das Echo klimpert durch das verlassene Gemäuer. Es riecht nach modrigem Papier und bei jedem Atemzug habe ich das Gefühl, eine Prise Staub in meinen Lungen aufzunehmen. Bloß nicht husten, jedes Geräusch könnte die Monster der Vergangenheit aufwecken; sie schlummern bestimmt in der dunklen Ecke da drüben.

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Wir sind planlose Abenteurer, brauchen keine Schatzkarte, keinen Schatz, keinen Weg, kein Ziel und keine Ausrüstung- außer der Kamera und dem Bedürfnis nach Staub in der Nase. Die Zeit geht irgendwo beim Klettern im Unkraut vor dem Gebäude verloren und mit ihr auch der Rest unseres Daseins. In den nächsten Momenten gibt es uns nur noch als Schatten, als herumschleichende Abenteurer in der toten Stille. Unser Antrieb ist aufgenommene Witterung des Vergessens, wie ein silberner Faden liegt sie in der Luft und lässt uns durch leere Räume schleichen, auf der Suche nach verloren gegangenen Erinnerungen, die wir nie teilen und verstehen werden.

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Dunkle Kellergewölbe machen mir Angst, in jedem Schatten vermute ich das Böse, das mich in der unbestimmten Suche aufhalten, anspringen und auffressen will. Doch dann liegen mir nur rostende Maschinen, staubige Schrauben und schmutzige Türen im Weg und meine Ängste verwandeln sich in ein begeistertes Augenglitzern.

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In einer solchen Ruine, inmitten von versteckter Abgeschiedenheit, knisternder Spannung und diesem unbeschreiblichen Rest an Wahrnehmung, liegt die Wertschätzung des Lebens verborgen. Details wahrnehmen, die andere nicht sehen wollen. Orte als wichtig empfinden, die längst vergessen wurden. Eines Tages wird vielleicht auch jemand durch meine scheinbar uninteressanten Erinnerungen stromern, mit der gleichen Spannung und Faszination, auf der Suche nach der Vergangenheitsmagie.

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Du kommst aus dem Nebenraum geschlichen und zeigst auf die eingestaubten Fußspuren am Boden, legst den Kopf schief und fragst mich flüsternd: „Wer ist wohl vor uns hier gewesen?“ Zwei Räume weiter knackt es gespenstisch. Keine Schätze können gefunden werden, keine Juwelen verstecken sich in dieser Bruchbude- das wissen wir beide. Doch wenn man nichts finden kann, wonach sucht man dann? „Vielleicht waren es Schatzsucher, so wie wir.“, antworte ich mit all der Überzeugung, die man in ein Flüstern packen kann. „Uns was haben die gesucht?“ „Vielleicht Geheimnisse und andere Erinnerungen. So, wie wir.“

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In manchen Räumen steht die Welt Kopf. Ob Gewalt, Zerstörungswahn, Diebstahl… oder nur die Zeit am Werke war, lässt sich schwer ausmachen, der Künstler hat seine Initialen nur als Glasscherbenmosaik zurückgelassen. Schlafwandlerisch wandle ich von einem Raum in den nächsten und sauge die Stimmung ein, nur auf dem Flur stellen sich meine Nackenhaare für einen Moment der Skepsis auf. Ist alles unverändert geblieben, während ich in dem Raum war? Oder wurde der Tapetenfetzen da drüben etwas weiter herunter gerissen?

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Keine Schatzsucher hier. Außer uns, niemand da.„, beruhigst du mich. Als ich antworten will, bleibt mein Blick an einer alten Flasche hängen. Das, was mal Kleister war, sieht nun aus, wie Bernstein. Plötzlich geht ein Windzug durch meinen Kopf und Staub wird aufgewirbelt. Ich finde eine Erinnerung, die mit dem Ort gar nichts zu tun hat. Ich bin wieder sechs und sehe auf die Ostsee. Mutter erklärt mir, wie Bernstein entsteht, doch ich habe eine andere Erklärung dafür: „Bärenstein, Bärenstein. Wenn Honig alt wird, müssen Bären weinen, dann entsteht der Bärenstein.

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Im Nachhinein kann ich mir diese Faszination für sterbende, vergessene und vergessene Orte nie so ganz erklären. Warum stundenlang im Staub herumschleichen, um später dann nur ein paar mehr Fotos auf der Festplatte zu haben?

Guck mal, das Lichtspiel! Ist das nicht schön?“ Ja, denke ich. Vermutlich brauchen manche Sachen keinen Nutzen, wenn sie für einen kleinen Moment die kindische Freude wieder lebendig werden lassen.

Published inKnipsenLebenSchreiben

3 Comments

  1. Wow, was für ein schöner Artikel :) Da hast du wirklich tolle Worte gefunden.

  2. Uli Uli

    Wie machst Du das? Wie findest Du immer wieder die passenden Worte? Faszinierend !!!

  3. […] so großartig fand. Bei Blueten Staub gibts ja ständig tolle Texte, aber mit einem Beitrag über Lost Places diesen Monat konnte ich mich richtig identifizieren. Ein bisschen in Richtung Selbsthilferatgeber […]

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