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Orientierungslos in Oslo [Teil 1]

Es ist Sonntag und weil mein Terminkalender für heute und nächste Woche keine Termine festgehalten hat, bleibe ich im Bett liegen und suche nach Flügen. Nochmal drei Nächte woanders, bevor der Alltag mich und alle anderen wieder frisst. Preise und Flüge vergleichen und als ich dann über ein gutes Angebot stolpere, steht mein Reiseziel fest: Oslo. Kostet von Berlin aus nur 50€ pro Flug! Kurz darauf buche ich noch ein Hostel für 3 Nächte und laufe zum nächsten Bücherladen, um einen travel guide zu haben.


Mittwoch

Mittwoch in irrer Frühe gibts noch ein WG Frühstück, dann gehts dann nach Berlin und schwupdiwups… steige ich in Oslo aus dem Flugzeug.

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Während ich meinen Freunden berauscht von meinem Spontanplan erzählte, kriegte ich oft zu hören: „Aber ganz alleine?“ Erst jetzt, in Oslo angekommen, fällt mir auf, dass ich noch nie alleine verreist bin.  Das Hostel finde ich problemlos, kurzer Check-in, Kamera schnappen und raus ins spätnachmittägliche Getümmel.  Zwischen dem hektischen Verkehr und der Fremdartigkreit verliere ich meine Orientierung, aber finde dafür ein Ziel. Der Puls der Stadt ist mir gerade noch viel zu schnell, ich brauche einen Ruhepunkt zum „Ankommen“ und der ist- wie sollte es auch anders sein- der Hafen.

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Die Abendsonne spiegelt sich über dem Wasser, Möwen kreischen. Von irgendwo her schallt der Gesang eines Straßenmusikers, ansonsten ist die Hektik vom Stadtkern nicht mehr zu spüren. Ich kann noch nicht von der Stadt schwärmen. Vielleicht muss ich mir mehr Zeit lassen, irgendwie sind es zu viele Eindrücke auf einmal, noch dazu solche, die ich nicht so ganz einordnen kann. Zum Beispiel sprach mich zuvor ein anzugtragender Norweger mit den Worten „You’re so much looking like a tourist!“ an. Irre ich so offensichlich verloren durch die Straßen? Bin ich zu braunhaarig, um als Norweger durchzugehen oder ist es meinen John-Lennon-Brille?

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Es scheint, als wäre Oslo die Stadt der Ambivalenzen, es gäbe es kein Konzept, keinen Grundton, den man entdecken kann. Die Häuser wirken wie ein architektonischer Flickenteppich aus vielen Jahrhunderten. Neben dem typisch norwegischen Holzbauten erinnern manche Fassaden an Paris, dann kommt ein mittelalterliches Gemäuer neben einem modernen Glasbau. Hier am Hafenanfang ist das Rathaus der Kulissen-Killer: Ein gigantischer Backsteinklotz aus dem 20.Jhd. Ich muss ein bisschen an den Hamburger Industriehafen denken.

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Donnerstag

Ich wache völlig zerschlagen halb 11 in meinem 22-Betten-Schlafsaal auf. Hektisch packe ich alles für den Tag zusammen und schmiere mir Käsebrote. Am Vortag musste ich ernüchternd feststellen, dass nicht nur das Bier (10€ für nen halben Liter) teuer ist und ich wohl die nächsten Tage nur von Käsebroten leben werde. Dann bekam ich aber noch den Tipp von Reisenden aus Italien, mir einen Oslo-Pass zu besorgen. Für 24h kostenloser Nahverkehr und freier Eintritt in vielen Sehenswürdigkeiten für umgerechnet 30€.

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Mein Plan für diesen Tag steht schnell fest: der Stadt etwas Abstand zu gönnen und mich ins Grüne zu stürzen. Fjord-Hopping auch genannt. Vom Hafen fahren Linienboote zu den nahe gelegenen Fjorden, man steigt einfach da aus, wo es einem gefällt und eine Stunde später legt das nächste Linienboot wieder an. Und zwischendurch kann man sich die Seeluft um die Nase wehen lassen und über die schöne Natur staunen.

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Den ersten Fjord, den ich mir eigentlich ansehen wollte, verpasse ich. Das Anlegen des Bootes dauert nur knapp eine Minute und so schnell konnte ich mich vom Oberdeck nicht runterkämpfen. Zum Glück ist ja noch nicht aller Fjorde Abend, ich lerne dazu und hüpfe beim nächsten Halt von Bord.

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Von weitem sieht Oslo viel freundlicher aus. Ohne den Straßenlärm, die Menschen und teuren Preise. Ich stehe hier also, allein, mutterseelen allein und… es ist großartig. Als wären all meine Alltagsgedanken wasserscheu und würden deshalb in Oslos Anlegestelle auf mich wie ein angeleinter Hund auf mich warten, habe ich den Kopf völlig frei.

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Lindøya ist mein erstes Ziel. Ich laufe durch einsame Wege mitten in der Natur. Richtige Straßen sind es nicht, eher Trampelpfade. Hier und da vereinzelte Häuser, aber es liegen mehr Boote im Hafen, als ich Menschen sehe. Diese Einsamkeit ist fast gespenstisch, weil sie in so großem Kontrast mit den vorherigen Stunden in Oslo steht. Am Ufer auf felsigem Untergrund mache ich Rast und genieße die Aussicht. Es ist ein bisschen, wie gestrandet zu sein.

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Beim Geschmack des Käsebrots fällt mir auf, wie leer mein Kopf wirklich ist. Nach einer Stunde Aufenthalt, einer Rast am Ufer und einer kleinen Wanderung durch den nordischen Naturschutzwald bin ich wieder auf dem Boot und das einzige, was zu funktionieren scheint, sind meine Augen, die immer größer und größer werden bei der Schönheit der Natur. Beim nächsten Halt springe ich erneut ab und lande auf Hovedøya.

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Falls ihr mal vorhaben solltet, Oslo einen Besuch abzustatten, kauft nicht irgendeinen Reiseführer. Meiner war nämlich gelinde gesagt bescheiden. Über die Fjorde stand nix drin, sodass es auch nur ein großer Zufall war, dass ich diese alte Klosterruine entdeckte. Nach einem Spaziergang durch die alten Mauerüberreste verschlug es mich einmal mehr in die Wildnis. Trampelpfade führten mich zu geheimen Orten, an dem einen entdeckte ich auch meinen neuesten Schatz, die Krabben-Kette.

 

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Bevor ich wieder zurück zur Anlegestelle ging, schnipste mir noch ein Zweig ins Gesicht und ich hatte für einige Momente Panik, dass mein Auge verletzt sei. Zum Glück war es nur ein Schnitt direkt unterhalb des Auges, das bisschen Blut war wohl mein Tribut, den ich fürs Naturstromern bezahlen musste. Belohnt wurde ich dafür mit einem phantastischen Ausblick, den ich jetzt im Nachhinein gar nicht mehr realisieren kann. Es war wirklich so schön wie auf den Fotos!

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Als ich dann so 18 Uhr wieder in der Stadt ankam, legte ich mich erstmal in einen Park in Hafennähe, um meine wundgelaufenen Füße zu regenerieren. Es dauerte nicht lang und ich fiel in einen erschöpften Schlaf, aus dem mich dann ein Polizist mit der Aufforderung „It’s allowed, to relax here, but sleeping is forbidden. Would you please go away?“ weckte. Oslo, du schräge Stadt!

Published inKnipsenReisen

10 Comments

  1. Ohh, wunderschön! Manchmal braucht man einfach eine solche City-Auszeit :)

  2. Ohhh da beneide ich dich ja dann doch schon ein bisschen. Oslo und generell die skandinavischen Länder stehen schon sehr lange auf meiner To-Travel Liste, aber ich habe es einfach bisher noch nicht geschafft. Vor allem Westeuropa hab ich schon ziemlich gut und viel abgeklappert. War in so ziemlich jeder Metropole und sogar schon in Budapest. Aber auch Wien, Prag und halt eben die skandinavischen Länder fehlen mir einfach noch.
    Oh und was ein neues, großes Ziel ist: Florenz! Ich hab mich irgendwie durch die Serie „Da Vinci’s Demons“ ein bisschen in diese Stadt verguckt. Dort geht es um das Leben des jungen Da Vinci. Ziemlich gut und empfehlenswert!!
    Super schöne Bilder auch, übrigens. Bin gespannt auf den 2. Teil :-)

  3. Auf Oslo als (Kurz-)Reiseziel wäre ich wahrscheinlich nie gekommen :) Toll, was du so erzählst, das mit der Natur so nah an der Stadt ist wirklich klasse, auch für Touristen. Wir haben ja schon über das Stadt-Natur-Ding im Urlaub gesprochen, es ist wirklich schön, auch mal abzuschalten.

    Toller Text übrigens! Deine Reiseberichte lesen sich immer so, als wäre man mitten drin :)

  4. jette jette

    Fjord-Hopping mit Oslo-Pass? Interessant! Erzähl mir mehr… =)

    • Hallo Jette. Was möchtest du denn genau dazu wissen?
      Mit dem Oslo Pass kannst du die Fähren benutzen, die, ähnlich wie Linienbusse, die Fjorde der Umgebung ansteuern. Natürlich nicht, wie ein Touristen Boot, bei dem Dinge erklärt werden, aber als Transportmittel super praktisch :) Liebe Grüße

      • Jette Jette

        Hallo Josephine,
        ich wüsste gern, welchen Reiseführer du als ursprüngliche Inspiration genutzt (und dann als weniger nützlich empfunden) hast. Was ist in der Stadt sehenswert? Du zeigst hier Photos der Natur um Oslo; gibt’s auch Stadtaufnahmen?
        Schipper in 10 Tagen gen Oslo. Ich bin gespannt, was mich erwartet.
        Liebe Grüße von Jette

        PS.: Der 2. Teil der Verwirklichung deines Spontanplans war meine gestrige Abendlektüre. Das weckt das Fernweh…

  5. […] Stadt, vor allem, weil man irrsinnig schnell in der Natur ist. Josephine von Blueten Staub hatte hier darüber berichtet – zwischen den einzelnen Fjorden fahren Linienboote, bei denen man einfach […]

  6. Was für ein toller Bericht über Oslo, Josephine. Ganz ähnlich haben wir unseren Kurzaufenthalt dort auch erlebt: erst ein Bummel durch die Stadt, aber irgendwie landet man schnell am Hafen. Wir haben dort eine Hafenrundfahrt mit einem Segelschiff gemacht, allerdings blieb das Schiff immer in Stadtnähe. Deine Tour durch die Schären klingt richtig interessant. Wenn wir noch einmal nach Oslo kommen, dann werden wir das auch machen. Vielen Dank für den Tipp.

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