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Reden ist Silber, Machen ist Gold

Miriam* engagiert sich privat und jenseits von Institutionen als ehrenamtliche Flüchtlingshelferin. So einzigartig und positiv ihre Geschichte auch ist, ihre Erfahrungen mit Organisationen der Flüchtlingshilfe sorgen für einen faden Beigeschmack.

Silly & Mimi 2

Sie ist verheiratet, hat Job, Kinder und Eigenheim – eine solide Basis für ein angenehmes Leben. Doch die Gewissheit, dass andere Menschen unter größten Strapazen nach Deutschland kommen und dann auf sich allein gestellt einen Kulturschock bewältigen müssen, hielt sie schon einige Zeit vom entspannten Zurücklehnen ab. Zwei Jahre hat sie versucht, in die organisierte Flüchtlingshilfe hineinzukommen. Sie wollte vor Ort anpacken und direkt den Menschen helfen, die Unterstützung brauchen. Es dauerte jedoch nicht lange, bis sie frustriert feststellen musste, dass ein »Hier bin ich, was kann ich tun?« im Bürokratie­dschungel der ehrenamtlichen Organisationen nicht funktioniert. Doch dann kam Sally*.

Der Anfang einer wunderbaren Freundschaft

Im April dieses Jahres fuhr Miriam mit dem Auto gerade zu einem geschäftlichen Termin, als sie vom Blick der hochschwangeren Frau getroffen wurde. Mit zig Taschen bepackt stand Sally vor dem bereits geschlossenen Umsonstladen und blickte hilflos auf die vorbeifahrenden Autos. Miriam traf der Anblick, doch ihr Pflichtbewusstsein gewann: »Los, weiterfahren, du bist spät dran, der Kunde wartet.« Tat er aber nicht, Miriam wurde mal wieder versetzt. Als Sally auf dem Rückweg noch immer alleine dastand, fasste Miriam endlich den Entschluss und hielt an.
Da die aus Benin stammende Sally weder Deutsch noch Englisch sprach, war für Miriam das Heimfahren eine Odyssee durch Halles Straßen. Doch dank pantomimischen Höchstleistungen beider Seiten erreichten sie schlussendlich das Asylheim, in dem Sally damals untergebracht war. Da Miriam noch wie selbstverständlich beim
Hereintragen der Tüten half, sah sie zum ersten Mal ein Asylheim von innen. Der Anblick der winzigen Zimmer, die rudimentär mit Doppelstockbetten und alten Metallspinden eingerichtet waren, schockierte sie. Mechanisch fuhr Miriam nach der Aktion nach Hause und fühlte sich, als käme sie gerade aus einer anderen Welt. »Sobald Sally im Auto saß, schaltete sich mein Denken ab. Erst auf dem Heimweg realisierte ich, was gerade passiert war … und dass ich Sally wiedersehen wollte.«
Die Geschichte liegt gerade mal acht Monate zurück, doch in der Zwischenzeit ist viel passiert. Heute hilft Miriam intensiv fünf Flüchtlingen. Hinzu kommen spontane Aufgaben, wie Spendenunterstützung und Weitervermittlung, für die sie zum Beispiel von Leitern der Asylheime angefragt wird. Sally zählt zu ihren engsten Freunden und wohnt mittlerweile mit ihrem Kind und Mann in einer eigenen Wohnung.

Mit einem Leuchten in den Augen erzählt Miriam von den schönen Momenten, die aus dem Kontakt zu Flüchtlingen hervorgehen. Als eine Bereicherung ihres Alltags empfindet sie auch die kulturellen Unterschiede, die manchmal kuriose Situationen zur Folge hatten. »Integration heißt für mich nicht, dass die hiesige Kultur aufgezwungen und übernommen werden muss, sondern dass die Kulturen nebeneinander existieren und voneinander lernen können.«
Doch es gibt auch eine Schattenseite ihres privaten Engagements: Seit dem Kennenlernen von Sally sinkt Miriams Vertrauen in die organisierte Flüchtlingshilfe beständig. Bürokratische Hürden, Sprachbarrieren an offizieller Stelle, Unübersichtlichkeit, Zählebigkeit der Organisationen und der Unterschied zwischen »helfen wollen und wirklich helfen« – all das hat sich negativ in
Miriams Gedächtnis eingebrannt. Daraus resultierend sagt Miriam heute mit einem bitteren Unterton: »Ich gehöre keiner Organisation an, und das ist auch gut so.«

*Namen von der Redaktion geändert

[Der Artikel erschien print& online bei der Hastuzeit]

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Ein Kommentar

  1. Pantomimische Höchstleistungen dürfte es nie genug geben, eine gesunde Grundeinstellung zum Dasein und Wohlsein . Das Herz ist als Organ der Kleinlichkeit nicht geeignet, es lebt die Fülle und die Weite!
    Ahoi Erik

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